Freitag, 22. Juni 2007
Nationalstaaten/Ethnische Nationalstaaten
In einem Kommentar zu einem früheren Beitrag wurde gefragt, warum ich ethnischen Nationalismus für das Primitivste halte.
Fassen wir Nationalismus nach der allgemeinen Auffassung kurz zusammen und vergleichen dies mit ethnischem Nationalismus:

"Nationalismus bezeichnet eine politische Ideologie, die auf eine Kongruenz zwischen einer Nation und einem Staatsgebilde abzielt, die durch eine Einsetzung für die Werte und Symbole des Staatsgebildes erreicht wird."
(Maurice Gallanier, 1981)

"Ethnischer Nationalismus bezeichnet eine politische Ideologie, die auf eine Kongruenz zwischen einer ethnisch definierten Nation und einem Staatsgebilde abziehlt."
(Maurice Gallanier, 1981)

Das Problem an ethnischem Nationalismus ist nicht so sehr, dass er einen Staat für ein Volk schaffen will. Das Problem ist eher, dass alles, was nicht dem ethnisch definierten Volk entspricht, per definition in dem Staat nichts zu suchen hat. Besonders gut hat sich das bisher in den jahrhundertelang gewachsenen Staatsgebilden bewährt, in denen eine andere ethnische Gruppe als höherstehend empfunden wird.
Ein überhöhter Nationalismus ("Chauvinismus") an sich ist historisch gesehen für Minderheiten aller Art nicht sonderlich gut (üblicherweise leiden die religiösen Minderheiten am Meisten), aber der ethnische Nationalismus hat ganze Staaten zugrunde gerichtet.

Betrachten wir nur mal die Balkanstaaten, die sich von ihrer "gloriosen Unabhängigkeit" immer noch nicht erholt haben:
- Bulgarien begann direkt nach seiner (von Russland erzwungenen) Unabhängigkeit, alle Nichtbulgaren zu vertreiben,
- Griechenlands Unabhängigkeit wurde mit unzähligen Massakern an der (türkischen aber auch griechischen Oberschicht) bezahlt,
- Serbien schob alle Bulgaren, Griechen, Makedonier und Türken ab, schon als es noch nominell zum Osmanischen Reich gehörte,
- in Makedonien drehte sich das Völkermordkarussell jahrelang, bis das Land im dritten Balkankrieg wenig mehr als eine Erweiterung des wiedererstarkten Osmanischen Reichs wurde,
- Albanien wäre hier die löbliche Ausnahme, wenn Serbien und Griechenland in den 20ern nicht auf "Bevölkerungsrückgabe" gedrängt hätten.

Bei allen (wahren oder unwahren) Geschichten über die empfundene Unterdrückung der Polen, Tartaren, Turkmenen, Bretagner, Mongolen, Kalifornier... besser unterdrückt als tot, oder?

... link (1 Kommentar)   ... comment


Montag, 18. Juni 2007
Litauen: die Geschichte mahnt
Litauen hat bereits Gesetzt ratifiziert, die das Land in zwei Teile aufbrechen: einen litauisch dominierten und einen weißrussisch dominierten. In beiden werden ab 2008 Lokalparlamente gewählt, die über Verwaltung und Infrastruktur entscheiden werden - theoretisch.
Praktisch gesehen sind diese Parlamente wenig mehr als eine große Augenwischerei, um das Land zusammenzuhalten - alle beschlossenen Gesetze müssen vom Gesamtparlament ratifiziert werden. Dennoch ist es jetzt unausweichlich geworden, daß diese Parlamente mehr und mehr Macht an sich reißen werden, bis sie schließlich das Gesamtparlament ersetzen werden. Aus dem Einheitsstaat wird ein Bundesstaat, wird ein Staatenbund.

Dies ist eine gute Gelegenheit, ähnliche historische Konstrukte der letzten beiden Jahrhunderte kurz zu beleuchten. Picken wir und 5 Beispiele heraus.

1) Das Bulgarisch-Osmanische Reich ging nach schon 2 Jahren zu Grunde. Sultan Abdul Hamid II war der einzige bekannte Herrscher, der über zwei Länder regierte, die miteinander im Krieg waren. Faktisch war es nie ein Reich, sondern der verzweifelte Versuch, das unvermeidliche Aufbrechen eines sklerotischen Herrschaftsbereichs aufzuhalten.

2) Ungarn-Kroatien (im Volksmund auch "Ungern-Kroatien" genannt) begann sein Leben als frisch unabhänig gewordenes Königreich unter Reichsverweser Kossuth. Nach kurzer Zeit (als die Habsburger die Unabhängigkeit des Landes offiziell und zähneknirschend anerkennen mussten) konnte ein Bathory als König gewonnen werden und fügte dem Land eine weitere Klammer hinzu. Trotzdem wurde das Land offen und auch heimlich immer mehr magyarisiert, bis schließlich der Bürgerkrieg das Land fast zerbrach. Heute ist es mehr oder weniger ein Bundesstaat, in dem auch die Rumänen und Slovaken ihre Lokalparlamente haben - allerdings kostete das noch drei weiteren Bürgerkriege. Der Streit über den Landesnamen ist immer noch nicht beigelegt und wird es wohl auch nicht.

3) Das Russische Reich zerbrach in der Revolution 1906 nach dem katastrophalen Krieg mit China. Erst seit wenigen Jahren ist es wiedervereinigt und die Kollektivisten in Sibirien agitieren bereits wieder für Unabhängigkeit.

4) Indien ist nach wie vor das Musterbeispiel für ein Staatengebilde, daß nicht natürlich wachsen kann. Die Zentralregierung ist schwach und die einzelnen Landesteile sind nach wie vor auf die britischen "Berater" angewiesen, wenn sie sich im Parlament zu etwas zusammenraffen wollen. Zugegeben: dies ist besser als das Indien vor der Vereinigung und die jetzige Lösung hat elendes Blutvergießen und Haß vermieden, aber Indiden ist deutlich mehr ein Staatenbund als ein Bundesstaat. Praktisch gesehen eine Versuchswiese der Briten, nach dem sie ihr Commonwealth aufgebaut haben.

5) Das Heilige Römische Reich wurde mit 4 Kriegen bezahlt und wäre trotz des ganzen Föderalismus (die 1950er mal außer Acht lassend) dennoch auseinandergebrochen, wären in den ersten 30 Jahren nicht die Grundlagen für ein dauerhaftes Zusammenwachsen im Zeitalter des Nationalismus gelegt worden: eine gemeinsame Sprache (auch wenn es Volapük ist), ein langlebiger Herrscher unter dem das Fundament trocknen konnte, die Lokalsprachenregelung (die wahrscheinlich unzählige Revolten in Galizien, Böhmen und Polen vermieden hat), und der bewusste Versuch, ein neues Nationalgefühl für ein Kunstprodukt zu schaffen. Trotzdem eine Ausnahme.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Donnerstag, 31. Mai 2007
Warum eigentlich "neues" Reich?
Eine Frage, die nicht nur von Anfängern in imperialer Geschichte gerne gestellt wird. Für den Laien gibt es das Reich seit 962. Was hierbei gerne übersehen wird, sind die drei Zeiten des Interregnums (die "herrscherlosen" Zeiten). Daß sogar Politiker davon nicht verschont werden, hat der damalige Kanzler Kreefeld bei der Tausenjahresfeier wunderbar bewiesen.

Das dritte Interregnum begann, als Napoleon I. das heilige Reich 1812 vollständig auslöschte - die damaligen Fürsten konnten ihr (für sie bedeutungsloses) Land nicht schnell genug verraten, um an zusätzliche Untertanen und Geldgeschenke zu kommen. Schlussendlich legte Kaiser Franz II die Krone des Reiches nieder und erklärte es für aufgelöst (die sogenannte "erste Nullifikationskrise").

Als Maximilian III. das Reich eine Generation später neu errichtete, wurde offiziell (und meines Wissens völlig zu Recht) festgestellt, dass das Reich niemals aufgelöst worden war, da Franz II. hierzu nie die Berechtigung hatte und der Einspruch des Königs von Schweden wegen eines (angeblichen) Formfehlers vollkommen ungerechtfertigt abgeschmettert wurde.

Schlussendlich war dieses neue politische Konstrukt, daß den Deutschen Bund ablöste, nicht das alte Heilige Römische Reich Deutscher Nation, sondern etwas neues - für seine Zeit extrem fortschrittlich und liberal. Der Kontinutätsbruch war deutlich größer als 1254 und 1740, was den Begriff (der gerne verwendet aber selten begriffen wird) erklärt.

... link (5 Kommentare)   ... comment